Wer bei mir ins Coaching oder Seminar kommt, wird mit einer gewagten These konfrontiert: In ihrer Phase der beruflichen Neuorientierung gehen sie mit guten Absichten „überfallmäßig“ in Betriebe. Dort führen sie kurze Gespräche mit Mitarbeitern, die sie nicht kennen und die nicht wissen, dass sie kommen. 82 Prozent der Leute, die sie um ein Gespräch bitten, werden dazu ja sagen und sie in der Regel freudig empfangen. Sie werden einen sehr schönen Tag erleben. Sogar dann, wenn sie sowas noch nie vorher gemacht haben, nicht daran glauben und sich selbst nicht für besonders redegewandt, dafür aber für schüchtern halten. Sie lesen das und fragen sich gerade, wie viele Teilnehmer das glauben? Trotz reichlich vorhandener Beispiele aus der Praxis vermutlich die Wenigsten. Deswegen probieren alle Coaching-Teilnehmer das an einem so genannten „Ausgehtag“ in echten, selbst ausgewählten Unternehmen und ohne ihren Coach aus.

Dem Coach glauben die Wenigsten

Bielefeld

Gibt es wirklich: Bielefeld, nette Ostwestfalen und Erfolgsquoten über 80 Prozent.

50 Prozent gelten als eine Erfolgsquote, die im Vertrieb echte Profis und damit die besten Pferde im Stall erreichen. Vertrieb läuft anderes ab, als Jobsuche im verdeckten Arbeitsmarkt mit Life/Work Planning (L/WP). Weil die Vorgehensweise in einigen entscheidenden Punkten so anders ist, ist selbst die Anfänger-Erfolgsquote so viel höher, als die der Vertriebsprofis. L/WP-Coaches gruselt es vor dem Tag, an dem Teilnehmer zurück ins Coaching oder Seminar kommen und „nur“ in der Hälfte der Fälle Erfolg hatten. „Irgendwann erwischt es jeden mal“, habe ich während der Coachingausbildung von einem anderen Coach gehört. Deswegen bin ich, obwohl ich selbst bei dem Ausgehtag gar nicht dabei bin und mir das bisher noch nicht passiert ist, am Ausgehtag auch immer nervös.

Ende Februar war es wieder mal so weit. Zwei Teilnehmer zogen zusammen los, um Bielefeld unsicher zu machen.

Ihre Aufgabe: An einem Tag führt jeder drei Gespräche in unterschiedlichen Betrieben, die ihr selbst auswählt. Die Betriebe sind in einer Branche / befassen sich mit einem Thema, von dem ihr ehrlich sagen könnt: „Das finde ich interessant.“ Gleichzeitig ist an diesem Tag, an dem ihr die L/WP-Technik zur Suche im verdeckten Arbeitsmarkt ausprobiert aber auch klar, das es sich um ein „Spielthema“ handelt. Das heißt: Der Bereich ist wirklich interessant, aber ihr würdet die Berufe eurer Gesprächspartner nicht ausüben wollen. (Das senkt die Angst, bei den ersten Schritten gleich die gesamte Karriereplanung zu versemmeln.) Zur Überprüfung meiner gewagten These wird genau protokolliert, wie viele Leute ihr fragen musstet, um die geforderten sechs Gespräche zu bekommen.

Als die beiden ins Coaching zurückkamen, brachten sie knallharte Zahlen mit. Was soll ich sagen … Sie haben 13 Leute gefragt. Bevor Sie, lieber Leser, jetzt triumphierend „AHA! Habe ich es mir doch gleich gedacht!“ sagen, kommt hier der zweite Teil der Statistik: 11 Menschen haben daraufhin „Ja!“ gesagt. Also: 84,6% Erfolgsquote. In mehreren Fällen wurden den beiden weitere Gesprächspartner aktiv angeboten. Oft sogar der Personalentscheider: „Soll ich Sie gerade hinbringen?“ Der Witz dabei ist: Ein weiterer Teil der Ausgehtags-Aufgabe war, den Kontakt zu Personen, die mich einstellen könnten, bewusst zu vermeiden. Deswegen sind die beiden auch nicht mitgegangen.

Gleich beim ersten Gespräch zeigte sich, wie leicht das geht

Ich habe gefragt, warum sie mehr Gespräche gemacht haben, als geplant. Die Antwort: Gleich beim ersten Gespräch zeigte sich, wie schnell und leicht das geht und wie viel Spaß es macht. Da haben die beiden einfach noch ein paar Versuche drangehängt. In der eMail, die ich am Ende des Tages erhielt, stand: „Der Ausgehtag war richtig gut, hat alles super geklappt und wir haben ganz viele interessante Gespräche geführt. Detaillierterer Bericht folgt dann nächste Woche!! 🙂 “

Die Bewertung der geführten Gespräche schwankte von einsilbig bis sehr offen, aufschlussreich und interessant. Letztere sind die Leute, an denen ich persönlich dran bleiben würde. Einmal bekamen die beiden Jobsucher sogar angeboten, einen Termin zu vereinbaren, an dem sie dann mit einer Gruppe von Mitarbeitern reden könnten. Und das von jemandem, der sein ostwestfälisches Naturell nicht verbergen konnte! 😉

Jobsuche ist wie Topfschlagen

Jobsuche ist wie Topfschlagen

Topfschlagen: Macht genau so viel Spaß, wenn sich statt einer Tafel Schokolade der Traumjob unter dem Topf befindet.

Bei diesen Info-Gesprächen entstehen vom Jobsucher ganz gezielt in einem bestimmten Bereich aufgebaute Netzwerke. Mindestens genauso wichtig ist aber die zweite Funktion, die die Gespräche haben: Sie geben dem Jobsucher Orientierung! Ich vergleiche das gerne mit dem Kinderspiel Topfschlagen. Bei der Herausarbeitung Ihrer Ziele im theoretischen Teil des Coachings klopfen wir sozusagen einmal auf den Topf, damit Sie hören, in welche grobe Richtung Sie sich auf der Suche nach Ihrem Traumjob bewegen müssen. Dann gucken Sie sich in der Praxis Berufe und Unternehmen an und spüren dabei auch ohne die lauten Zurufe von anderen Mitspielern den Unterschied zwischen Heiß und Kalt. Sie merken, ob Sie sich zum Beispiel in einem Raum ohne Fenster befinden und wie sehr Sie das stören würde, wenn Sie darin arbeiten müssten. Sie merken auch, ob Sie mit Ihren zukünftigen Kollegen gerne zusammenarbeiten würden oder ob Sie in das ein oder andere Team lieber nicht rein wollen. Wenn Sie in einem Unternehmen sind, das sich in der Öffentlichkeit als attraktiver Arbeitgeber präsentiert, dann spüren Sie, ob es das auch wirklich ist.

„Freue mich auf den Ausgehtag. Ist gut für mein Ego.“

Die Menschen, mit denen Sie sprechen, geben Ihnen wichtige Informationen aus erster Hand und persönliche Eindrücke, die kein Coach so jemals sammeln könnte. Aber nicht nur. Sie werden überrascht sein, wie viel Unterstützung Sie von den Leuten bei Ihrer Jobsuche bekommen. Einer von den beiden, die Ende Februar im Rahmen des Coachings den Ausgehtag gemacht haben, hat die Gesprächstechniken ein paar Tage vorher bei einem Kinobesuch spontan ausprobiert und Mitarbeiter befragt. In der eMail, die ich nach dem Film bekam, stand: „Freue mich auf den Ausgehtag. Ist gut für mein Ego.“

Das Fazit der beiden Coaching-Teilnehmer für den Ausgehtag Ende Februar fällt wie folgt aus: Keiner der von uns angesprochenen Mitarbeiter war offensichtlich unzufrieden. Alle waren offen und auskunftsfreudig und haben sich auf das Abenteuer eingelassen. Dinge, die wir zu Beginn als negativ an diesem Beruf angesehen haben, wurden von vielen gar nicht negativ gesehen beziehungsweise abgeschwächt. Wenn wir tatsächlich Interesse an dieser Branche gehabt hätten, hätten wir durch die Gespräche gute Hinweise auf „gute“ Arbeitgeber und den Beruf bekommen.

Ganz ehrlich: Das hätte ich als Coach im theoretischen Coaching niemals so rüberbringen können. Genauso wenig wie eine Jobbörse, Stellenanzeige oder Firmenhomepage. Deswegen schicke ich die Teilnehmer ins echte Leben. In den echten (verdeckten) Arbeitsmarkt. Da gibt es die mit Abstand besten Auskünfte. 🙂