Eike-Jan Diestelkamp, der 36-jährige Geschäftsführer von HDNET in Werther glaubt, dass die größte Wechselbarriere für Bewerber der Verlust der alten Kollegen ist. Der aktuelle Chef soll weg. Klare Sache! Aber doch bitte nicht das tolle Team. Deswegen lautet das Motto bei dem Unternehmen, in dem große Onlineprojekte entwickelt werden: „Wenn ihr mit eurem Chef unzufrieden seid, könnt ihr einfach komplett zu uns rüber kommen.“ Am Ende bekommt dann laut der Stellenanzeige jeder ein Angebot – oder keiner. Weil HDNET einen hohen Personalbedarf hat und als Arbeitgeber heute schon in einem nachfragegetriebenen Markt unterwegs ist, werden Bewerber sehr umworben. Trotzdem ist mein Eindruck nach dem Podcast-Interview, dass ein Vorstellungsgespräch mit Eike echt was für Fortgeschrittene ist. Oder nicht?
Den Bewerber erstmal grillen
Wenn Du zu HDNET zum Vorstellungsgespräch kommst, dann wirst Du zum Einstieg erstmal gegrillt. In einem einstündigen, Multiple-Choice-Bewerbertest, der in der vorgegebenen Zeit definitiv nicht zu schaffen ist. Das wird Dir vorher mitgeteilt. Trotzdem kommst Du zeitlich natürlich ins Schwitzen. Danach bist Du laut Eike gar. Jetzt steht möglichst lockeres Quatschen im Vorstellungsgespräch auf dem (Kontrast-)Programm. Dabei wirst Du unter anderem gefragt: Was hat Du in Deinem Leben bisher so gemacht? Was ist ab der Grundschule für uns relevantes passiert? Wie stellst Du Dir den Job bei uns vor? Welche Aufgaben hast Du bei uns? Was für Erwartungen hast Du an uns? Welche Fragen hast Du?
Schuss ins Blaue
Diese Fragen finde ich ehrlich gesagt richtig klasse. Der Grund: Einen Teil davon kann ein klassischer Bewerber nicht beantworten. Wie er sich den Job vorstellt, welche Aufgaben er erledigen wird und welche Erwartungen realistisch sind, ist für jemanden, der mal eben ein Standardanschreiben mit Lebenslauf auf eine Anzeige rausgehauen hat, ein Schuss ins Blaue. (Mehr dazu gibt’s in der Episode „Gute Vorsätze fürs neue Jahr„.)
Andererseits ist es durchaus möglich, auf diese Fragen konkrete und passende Antworten zu geben. Dafür musst Du vorher aber ordentlich rackern. Und Leute die rackern, will Eike haben. Er sagt: „Ich möchte jemanden haben, der so etwas aktiv gestaltet.“ Also kein Opfer der Umstände. (Aktiv gestalten kannst Du das Gespräch zum Beispiel auch, indem Du die Antworten auf die fünf klassischen Fragen gibst. Welche das sind und wie das geht, erfährst Du in der Jobsucher-Podcast-Episode „Das Life/Work Planning Einstellungsgespräch„.) Ganz ehrlich: Mir käme auch kein anderer ins Haus. Eike spricht von der Bereitschaft, sich zu quälen. Ich finde, dass Du wahrscheinlich keine Qual empfindest, wenn Du für ein Thema rackerst, dass Dich wirklich interessiert. Falls Du Dich wider Erwarten doch quälen solltest, dann wird die Qual ganz bestimmt viel, viel leichter zu ertragen sein und zu einer Art süßem Schmerz. 😉
Rackern im Vorfeld
Um mal eben sagen zu können, was seit Deiner Grundschulzeit für HDNET relevantes passiert ist, musst Du fokussiert sein. Du musst Dich mit Dir selbst auseinandergesetzt und Dir Ziele gesetzt haben. Du weißt, was Du in Deinem Leben alles gemacht hast und was davon Du gerne gemacht hast. Das ist immer noch zu viel für ein Vorstellungsgespräch, das bei HDNET maximal eine Stunde dauert. Also hast Du Dir überlegt, was von all dem Du in Zukunft gerne machen würdest. Durch das Rackern im Vorfeld weißt Du, was davon zu diesem Arbeitsplatz in diesem Unternehmen passt. Wenn jemand das alles für sich scharf gestellt und gemacht hat, dann ist das kein unsicherer Wackelkandidat, den es im Berufsleben so dahin treibt. Dann ist das ein Mitarbeiter, den Du als Arbeitgeber unbedingt haben willst.
Ich finde es gut, wenn ein Unternehmen in einer Branche, in der Bewerber Mangelware sind, an diesen Ansprüchen festhält. Das muss sein, wenn der Chef den Laden vorwärts bringen will. Davon abgesehen wäre es eine Katastrophe, wenn eine Niete eingestellt wird, die das vorhandene, gut eingespielte Team, sprengt. Wenn Leute gehen, weil sie sagen: Unser Chef ist okay. Aber der neue Kollege, den halte ich nicht aus. Eike weiß: „Jeder meiner Mitarbeiter könnte spätestens innerhalb von zwei Monaten einen neuen Job haben.“
Der Chef kannte kein einziges Zeugnis
Super spannend finde ich auch, in diesem Interview die Entwicklung des Bewerbungsprozesses über 17 Jahre beobachten zu können. Da war die Sturm und Drang Zeit zu Beginn. Die erste Einstellung bei dem frisch gegründeten Unternehmen. Gleichzeitig auch die erste Einstellung des zu diesem Zeitpunkt 19-jährigen Chefs. Der hat sich nämlich gleich nach dem Abitur selbstständig gemacht, ohne sich jemals selbst irgendwo beworben zu haben. „Ich kannte von meinen Kollegen kein einziges Zeugnis. Es wäre mir nicht mal aufgefallen, wenn die gar nicht zur Schule gegangen wären“, erinnert sich Eike. Als es mehr und mehr Bewerbungen und Einstellungen werden, sieht der Geschäftsführer sich (leider) gezwungen, einen Bewerbungsprozess einzuführen. Bewerberunterlagen sind für ihn der schnellste Weg, auszusortieren. Es fehlt einfach die Zeit, sich jeden Jobsucher einzeln anzugucken. „Schöne“ neue Zeit …
Prozesse richten sich nach den Bewerbern
Und doch richtet sich der Bewerbungsprozess auch irgendwie nach den Bewerbern. Kaufleute und Menschen aus anderen „traditionellen Berufen“ sind es gewohnt, Bewerbungen zu schreiben und sich damit auch traditionell zu bewerben. Dann sollen sie das auch tun, finden die Arbeitgeber. Beim Anhören des Podcasts fiel mir ein, dass ich das nicht zum ersten Mal gehört habe. Ich finde, dass Bewerbungen schreiben eine schlechte Angewohnheit ist, so wie das Rauchen. Beides sollten wir uns dringend abgewöhnen! 😉 Dass ein Kaufmann damit gleich eine Arbeitsprobe abgibt, kann ich allerdings verstehen. Wenn Du ein Thema gefunden hast, das Dir Spaß macht, sind Arbeitsproben auch kein Problem. (Ich persönlich bin diesbezüglich ja ein Freund vom Bloggen. Wenn Du das auch probieren möchtest und dabei Unterstützung brauchst, dann hätte ich was passendes für Dich im Angebot.)
Einem Programmierer eine Bewerbung zumuten, geht dagegen gar nicht! Darauf würde der sich nicht einlassen und das muss der auch nicht können. Der schickt einfach eine kurze Mail: „Hallo, ich kann das. Wenn Du Lust hast, unterhalten wir uns. Viele Grüße, xx“. Arbeitsproben kommen dann in Form von Programmcode. Den muss er als Bewerber nicht extra schreiben. Der findet sich ganz sicher irgendwo.
Am Ende entscheidet ein Bauch!
Trotz der Entwicklungen der vergangenen 17 Jahre mit der Zunahme der Bewerberzahlen und der Einführung der Bewerbungsprozesse inklusive dem „Bewerber-Grillen“, ist immer noch etwas Ursprüngliches da. Die Empfehlung aus dem Netzwerk funktioniert nach wie vor. In dem Fall ist es auch kein Problem, wenn Du keine Arbeitsproben hast, die Du schicken kannst.
Beim Bewerbertest kannst Du nicht bestehen oder durchfallen. Der wird nämlich nicht benotet. Denn selbst wenn wirklich alles passt und Du alle formellen Hürden mit Bravour genommen hast, dann entscheidet ganz am Ende immer nur einer, ob Du eingestellt wirst oder nicht: Ein Bauch! Und der kümmert sich mitunter einen Scheißdreck um das, was Du (fortgeschrittener Perfektionist) gerade alles richtig – oder auch falsch – gemacht hast! 😉
Ich bin davon überzeugt, dass Bäuche sich nicht für harte Fakten, sondern für die Persönlichkeit des Bewerbers interessieren. Deswegen würde ich immer versuchen, mit Netzwerken auf der persönlichen Schiene an die Sache ran zu gehen. In diesem Sinne: Heiter weiter!
Viel Spaß beim Hören und nicht vergessen: Für eine Bewertung mit kurzer Rezension in iTunes bin ich Dir sehr dankbar.
Inhaltsübersicht:
- Gut informiert von Anfang an:
Hallo Frau Diestelkamp. - Wir suchen (auch im Team):
Jobs bei HDNET. - Fristlos:
Der Arbeitsvertrag bei HDNET. - Gefragte Leute:
Mitarbeiter in der IT-Branche. - Zehn Jahre beim Gleichen:
Auf Weiterentwicklung kommt es an! - Bring Dein eigenes Team:
Die Vorteile für beide Seiten. - Bauchgefühl:
Das wichtigste Einstellungskriterium. - Zutrauen ersetzt Masterstudiengang:
Dann klappt der Einstieg auch „nur“ mit einer Ausbildung. - Der Chef weiß, wie’s läuft:
Bei Arbeitszeugnissen interessiert nur die Stellenbeschreibung. - Miserable Abschlussnote:
Alles jenseits von Befriedigend. - Korrelation festgestellt:
Der mit der Eins in Mathe ist besser als der mit der Vier. - Heiß diskutiert:
Kein Bock in der Schule = kein Bock bei der Arbeit? - Ist blöd, ist aber so?!
Das Zeugnis als einfaches und schnelles Beurteilungskriterium. - Das System richtet sich nach den Jobsuchern:
Menschen aus traditionellen Jobs schicken traditionell Bewerbungen. - Absolutes No-Go:
Der Bewerbungen schreibende Programmierer. - Die Arbeitsprobe des Kaufmanns:
Anschreiben und Lebenslauf. - Empfehlung aus dem Netzwerk:
Keine Arbeitsproben? Kein Problem! - Totaler Bullshit:
Die Frage nach den Schwächen. - Angrillen im kalten Wasser:
Der Bewerbertest bei HDNET. - Mündliche Prüfung:
Das Vorstellungsgespräch bei HDNET. - Ist auch eine gute Antwort:
„Ich kann das nicht beurteilen.“ - Schüler vs. Erwachsene:
Es gibt erschreckend viele Parallelen.
Meld‘ Dich bei mir zum Coaching an, wenn Du im Vorstellungsgespräch zu den Fortgeschrittenen gehören möchtest.
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Wenn Du Fragen an mich oder meine Interviewpartner hast, dann hinterlasse einen Kommentar. Auch Themenvorschläge sind jederzeit willkommen.
Was für ein arroganter Auftritt! Grundsätzlich zu sagen, wer sich nach 10 Jahren in einem Unternehmen nicht weiterentwickelt hat, braucht es auch nicht bei HDNET zu versuchen; finde ich ziemlich Schade. Eigentlich sollte es doch ein Unternehmer positiv werten, dass ein Bewerber gerade in seinem Unternehmen nun die Chance zu sehen scheint, sich zu verändern und weiterzuentwickeln.
Hallo Wolfgang,
herzlichen Dank für Deinen Kommentar.
Ich finde es spannend, dass Du das so siehst, weil Eike bei mir überhaupt nicht arrogant rüber kam. Das mag daran liegen, dass ich ihn bei einer FuckUp Night kennengelernt habe, wo er auf der Bühne vor großem Publikum von einem Projekt erzählt hat, mit dem er gescheitert ist. Ein arroganter Mensch würde das vermutlich eher nicht machen. Dazu kommt, dass ich ihm bei der Aufnahme gegenüber gesessen und in ein freundliches Gesicht geguckt habe. Das kommt im Podcast natürlich nicht mit. 😉
Doch zurück zu Deinem Kommentar:
Dafür, dass jemand zehn Jahre stehen geblieben ist, kann es gute und „schlechte“ Gründe geben. Jemand könnte zum Beispiel sagen: „Ich habe Familie, die ich finanziell absichern möchte. Wenn mein Kind eine Ausbildung beginnt und damit finanziell auf eigenen Beinen steht, dann verlasse ich meine blöde aber dafür sichere Stelle. So lange halte ich das durch.“ In unserem Beispiel dauert das zehn Jahre. Das Verantwortungsbewusstsein, das sich darin zeigt, wäre für einen Arbeitgeber sicherlich ein guter Grund, diesen Menschen einzustellen.
Das Problem ist meiner Meinung nach auch hier wieder unser Bewerbungssystem. Du bekommst als Entscheider einen Stapel Bewerbungen auf den Tisch und dann fängst Du an auszusortieren. Dabei gehst Du nach Wahrscheinlichkeiten vor: Der hat sich zehn Jahre nicht verändert. Wahrscheinlich ist das kein interessanter Kandidat. Das Gleiche bei den Schülern: Notendurchschnitt unter drei. Wahrscheinlich uninteressant. Die Wirklichkeit sieht vielleicht ganz anders aus. Vielleicht wären gerade diese beiden, die TOP-Kandidaten!
Und Du hast Recht: Mit dieser Vorgehensweise gehen Dir die Verantwortungsbewussten aus dem Beispiel oben durch die Lappen. Das ist großer Mist! Leider hast Du als Personalentscheider einfach keine Zeit, bei allen Bewerbern die Gründe zu hinterfragen und sowas für jede Bewerbung aufzudecken. Als Bewerber könntest Du offensiv im Anschreiben sagen, warum Du Dich zehn Jahre nicht verändert hast. Wenn Du weißt, dass derjenige, der Deine Bewerbung liest, sich daran stört. Das weißt Du aber nicht, weil der am anderen Ende es so sehen kann wie Eike oder auch genau andersherum. Der findet die Konstanz vielleicht gut, weil er in seinem Unternehmensumfeld einen ganz konstanten Mitarbeiter braucht. Dann schießt Du Dich mit einer entsprechenden Bemerkung im Anschreiben vielleicht selbst raus.
Deswegen sage ich immer wieder: Sprich vorher mit den Leuten im Unternehmen und finde sowas heraus. Dann merkst Du auch gleich, ob Du da rein passt. Als „konstanter Mensch“ willst Du vielleicht gar nicht in einem Unternehmen arbeiten, wo Du von einem Projekt ins andere springst. Da sagst Du freiwillig: Nein, danke!
Und such im verdeckten Arbeitsmarkt, wo Du weder ein Anschreiben noch einen Lebenslauf brauchst. Dann taucht das Problem gar nicht erst auf. Natürlich kann auch das schief gehen. Eine Garantie hast Du im Leben nie. Ich finde aber, dass die Chancen höher sind, dass es gut läuft. Übrigens für beide Seiten!
Übrigens habe ich mal von einem Experiment gehört: Ein Unternehmen hat wie üblich zwei Stapel gemacht. Einen für die, die eingeladen werden. Und einen mit den Bewerbungen, die zurückgehen. Sie haben dann mit Absicht die eingeladen, die eigentlich die Absage bekommen hätten. Ich glaube ich habe das bei Henrik Zaborowski ( http://www.hzaborowski.de ) im Blog gelesen. Ich bin mir nicht sicher. Und das Ergebnis war glaube ich wie immer. Ich muss das noch mal raussuchen …
Jemand, der fordert, dass Unternehmen Regelbrecher einstellen sollen ist Martin Gaedt ( http://martingaedt.de ). Den habe ich im nächsten Podcast. Ich hoffe, Du bist dann wieder mit dabei. 🙂
Herzlich grüßt,
Heiko